Rückblick mit zwei ehemaligen MJC-MachernVor 20 Jahren: Wie die Trierer ,Miezen‘ Deutscher Meister wurden

 

 Am 4. Mai 2003 landet Trier in den bundesweiten Sport-Schlagzeilen. Die DJK/MJC Trier machen die Deutsche Meisterschaft im Frauen-Handball klar. Der TV hat die damaligen Club-Macher Jürgen Brech und Martin Rommel an einen Tisch gebracht. Ihre Erinnerungen an einen großen Moment, in dem sie schon dunkle Wolken aufziehen sahen.

Martin Rommel (links) und Jürgen Brech blicken für den TV zurück auf die Miezen-Meisterschaft vor 20 Jahren – mit Stolz und mit Wehmut.

Foto: TV/Mirko Blahak
 

 

Es ist alles bereitet. Die  letzten  letzten Werbebanner sind per Hand an den Wänden festgemacht worden. Die Trierer Wolfsberghalle wird zum Nabel der Frauenhandball-Welt in Deutschland. Drittletzter Spieltag in der Bundesliga-Saison 2002/03. DJK/MJC Trier gegen Bayer Leverkusen. Mit einem Sieg können die ,Miezen‘ die Meisterschaft klarmachen. „Die Halle war rappelvoll. Zuschauer standen auf Bierkästen und in mehreren Reihen hintereinander in den Geräteräumen“, erinnert sich das langjährige Vorstandsmitglied Jürgen Brech, der die Partie ebenso wie der damalige Miezen-Manager Martin Rommel in der beengten Sprecherkabine verfolgt. „Die Euphorie, die die Mannschaft erzeugt hat, war erstaunlich. Wir wussten: Die Heimspiele gegen Buxtehude und nun gegen Leverkusen werden über Wohl und Wehe entscheiden“, sagt Rommel.

Die Stimmung beim Spiel der Trierer Miezen gegen Leverkusen

Mehr als 1000 Zuschauer quetschen sich in die Halle, die laut Brech damals maximal 420 Sitzplätze auswies. Die Fans sind auf Betriebstemperatur. Gegen Buxtehude hatte die MJC eine Woche zuvor mit 33:29 gewonnen. Gegen Leverkusen ist Trier zunächst hypernervös. Die MJC vergibt drei Siebenmeter. In der zweiten Halbzeit schaffen die Moselanerinnen die Wende. „Alex Gräfer im Tor hat vier, fünf freie Würfe sensationell gehalten. Über Maren Baumbach und Elena Vereschako gelangen dann fünf, sechs entscheidende Gegenstoß-Tore“, erinnert sich Rommel. Trier gewinnt 30:26. Der Titel ist perfekt.

Die Wolfsberghalle wird zum Tollhaus. Die Spielerinnen streifen sich vorher angefertigte Meister-Shirts über. Ein entrolltes Plakat ,Deutscher Meister 2003‘ ist dagegen provisorische Handarbeit. Der Sekt spritzt durch die Luft und legt einen klebrigen Film auf den Hallenboden, auf dem sich die Miezen-Spielerinnen zu einem ,Tausendfüßler‘ formieren und zwischen den Fans hindurch robben. „Wir haben es richtig krachen lassen“, sagt Brech, der seit mehr als 23 Jahren Inhaber eines Druck- und Werbestudios in Trier ist (Tri-Sign).

Die Miezen haben seinerzeit eine starke Mannschaft. Vor der Saison hätte Rommel, der als Bankkaufmann in Luxemburg arbeitet, aber angesichts der in der Breite ausgeglichenen Liga mit Teams wie den HC Leipzig, den Frankfurter HC, den Buxtehuder SV oder den TV Lützellinden nicht an den Titel geglaubt. 

Rommel und Brech benennen drei Schlüsselmomente auf dem Weg zum Coup. „Um den Jahreswechsel herum hatte Trainer Dago Leukefeld zur Mannschaft gesagt; ,Erklärt mich für verrückt. Aber wir haben in dieser Saison die Chance, Deutscher Meister zu werden.‘ Da wurde dem Team bewusst, dass etwas Besonderes passieren kann“, berichtet Brech. Zwei Partien zu Beginn des Jahres 2003 waren aus Sicht von Rommel dann Meilensteine. Zum einen der 36:30-Sieg beim Frankfurter HC am 18. Januar: „Damals gab es noch keinen Liveticker. Während des Spiels bekam ich alle drei Minuten Anrufe vom damaligen Manager des HC Leipzig, Kay-Sven Hähner, und vom Betreuer des Buxtehuder SV, Michael Jungblut. Sie wollten wissen, wie es steht. Nach dem Spiel hat FHC-Trainer Dietmar Rösicke unserem Coach Dago Leu­kefeld schon zur Meisterschaft gratuliert.“ Und dann war da noch ein Spiel beim TV Lützellinden – unter der Woche, am 12. März – in dem die MJC in einer „mega-aufgeheizten Stimme“ (Rommel) beim 26:26 einen wertvollen Punkt ergatterte. Binnen neun Jahren arbeitet sich die MJC von der Regionalliga zur Deutschen Meisterschaft empor. Mit einem Team, dessen Mischung mit ,jungen Wilden‘ und erfahrenen Spielerinnen passt. „Die Verpflichtungen von Elena Vereschako 1996 und von Weltmeisterin Svetlana Minewskaja 1997 waren enorm wichtig. Svetlana entwickelte sich zur ,Mutter der Kompanie‘. Elena hat sehr für ihre Verpflichtung geworben. Man muss bedenken: Svetlana kam damals aus der Regionalliga vom HSV Gräfrath zu uns“, sagt Rommel. Eine Zäsur aus Sicht von Brech war zudem der Zweitliga-Aufstieg 1994, sichergestellt in Haspe: „Da hat man gemerkt, was mit dem Verein und den Fans möglich ist. Es hat sich eine enorme Kraft entwickelt.“

Und: Ohne den Hauptsponsor Edmund Krix, der nahezu die Hälfte des im Meisterjahr knapp an die Eine-Million-Euro-Grenze heranreichenden Etats stemmte, wären Verpflichtungen wie jene von Champions-League-Siegerin Svetlana Mozgowaia, Maren Baumbach oder Alex Gräfer und mithin somit die Meisterschaft nicht möglich gewesen. Rommel: „Edmund Krix hat nach dem Bundesliga-Aufstieg im Jahr 2000 die finanzielle Basis für eine schlagkräftige Mannschaft gestellt, die nicht nur gegen den Abstieg spielt.

 

“ Wie es bei den Trierer Miezen bergab ging

Den Abschluss der Meister-Saison feiert die MJC Mitte Juni dann nicht mehr in der ,Festung‘ Wolfsberg, sondern in der neu eröffneten Arena Trier. Mit 3000 Zuschauern gegen Frankfurt/Oder. „Wir standen da und waren megastolz auf das, was der Verein erreicht hatte“, sagt Rommel. Eine Momentaufnahme, die Fluch und Segen zugleich ausdrückt. Hochklassiger Frauen-Handball zieht in die Trier die Massen an. Die Meisterschaft öffnet neue Türen. Doch beim Blick auf die vollen Tribünen wissen Rommel und Brech schon, dass dunkle Wolken aufziehen. „Edmund Krix hat uns schon Anfang 2003 signalisiert, dass er aufhört. Wir hatten gehofft, dass er noch ein Jahr an Bord bleibt und die Champions League mitnimmt. Dieser Plan ging nicht auf“, sagt Rommel.

Die Gesamt-Gemengelage für die Miezen ist toxisch. Der schmerzhafte Rückzug von Hauptgeldgeber Krix. Der ,Muss‘-Umzug in die Arena, der zu höheren Kosten führt – unter anderem durch das Bereithalten eines Vip-Bereichs. Die Spiele in der Champions-League – sportlich glanzvoll, aber finanziell ein Zuschuss-Geschäft. Und die Aufwendungen für den Kader werden auch nicht geringer. Brech: „Die Zeit war nervlich aufreibend. Wir wussten, was auf uns zukommt.“ Gesundheitlich, beruflich, familiär – die folgenden Jahre werden für Brech und Rommel extrem belastend.

Die Miezen haben viele Unterstützer, vor der Haustür unter anderem die Stadtwerke Trier. Aber es mangelt an überregional agierenden Geldgebern. Den Miezen-Machern wird zuweilen Beratungsresistenz vorgeworfen. Noch heute weisen Brech und Rommel dies zurück: „Wir haben auch Fehler gemacht, keine Frage. Aber wir haben vor allem enorm viel Herzblut in unsere Arbeit gesteckt.“

Trier ist nach der Meisterschaft erst mal weiterhin ein Topteam in der Bundesliga, driftet dann aber verstärkt in den Abstiegskampf ab. 2015 müssen die Miezen runter in die zweite Liga.

Rommel tritt 2013 nach insgesamt 21 Jahren als Manager und Miezen-Vorstand ab. Emotional ist er der MJC heute nicht mehr verbunden. Brech ist bis zum bitteren Ende an Bord – 2019 stellt die DJK/MJC Sportmanagement e.V. einen Insolvenzantrag. Doppelt hart für ihn: Fast zeitgleich wird bei ihm eine Krebserkrankung diagnostiziert. Inzwischen ist Brech wieder fit – und noch ein Begleiter der MJC. Dass die erste Damen-Mannschaft um den Klassenerhalt in der Rheinlandliga (der fünfthöchsten Spielklasse) bangt, erfüllt ihn mit Trauer: „Es tut schon weh zu sehen, wie es peu à peu auch zuletzt bergab ging.“

Im Langzeitgedächtnis von Brech und Rommel bleiben aber die schönen Miezen-Momente hängen – an der Spitze jene Erlebnisse rund um den 4. Mai 2003.

Meister-,Miezen‘ von 2003: Was sie heute machen

Trier · Hier die (international) erfahrenen Svetlana Minewskaja, Svetlana Mozgowaja und Elena Vereschako, dort die seinerzeit ,jungen Wilden‘ Anja Althaus, Maren Baumbach und Marielle Bohm: Aktuell sind nicht mehr alle aus dem Titel-Team dem Handball verbunden.

Freude pur: Alexandra Gräfer, Maren Baumbach, Marielle Bohm und Silke Meier (von links) halten die Meister-Schale nach oben.

Foto: vetter friedemann
 

Die damalige Torfrau Daniela Vogt ist weiterhin aktiv, inzwischen aber als Feldspielerin. Die Architektin läuft im Frauenhandball-Landesligateam des HSC Igel auf. Neben ihr gleichfalls in der Region geblieben sind beispielsweise Anja Glä­senerElena Vereschako und Svetlana Mozgowaia. Gläsener betreibt eine Praxis für Osteopathie und Sportphysiotherapie in der Metternichstraße.

Kerstin Reckenthäler hat die Seiten gewechselt, die Sport- und Religionslehrerin am Nicolaus Cusanus Gymnasium in Bergisch Gladbach ist Trainerin des Zweitligisten HSV Solingen/Gräfrath und steht mit der Mannschaft kurz vor dem Aufstieg in die Frauenhandball-Bundesliga.

Ebenfalls Lehrerin (für Mathe und Sport) ist Maren Baumbach. Sie unterrichtet am Gustav-Stresemann-Gymnasium in Fellbach nahe Stuttgart. Im Handball war sie zuletzt bis September 2022 drei Jahre lang Teamkoordinatorin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft.

Marielle Bohm, zwischenzeitlich Juniorinnen-Nationaltrainerin, wird aktuell als Leitende Landestrainerin für den weiblichen Bereich in ihrem Heimatbundesland Baden-Württemberg aufgeführt.

 

Anja Althaus, die in Skopje in Mazedonien lebt, war bis vor ein paar Wochen Co-Trainerin des Männer-Erstligisten Skopje 2020. Sie sucht aktuell einen neuen Trainerposten in Mazedonien und ist zudem Botschafterin der Frauen-Champions-League sowie Dozentin beim Projekt ,Respect your talent‘ der Europäischen Handball-Föderation.

Eine maßgebliche Rolle bei ihrem Wechsel im Jahr 2000 zur DJK/MJC Trier hatte der seinerzeitige Miezen-Co-Trainer Wolfgang Reckenthäler gespielt, der in Vallendar lebt. Dort ist er heute noch dem HV Vallendar verbunden, bei dem er Coach und Sportlicher Leiter war.

Meister-Trainer Dago Leukefeld, der kürzlich seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, trainierte bis zum Saisonende die Damen des Drittliga-Aufsteigers SV Fortuna 50 Neubrandenburg, hat dort aber den Vertrag nicht verlängert. Parallel organisiert der Thüringer viele Jugend-Handballcamps – auch in der Region Trier.

Einer anderen Sportart gewidmet hat sich zwischenzeitlich Kathrin Scholl, die von einer Handballerin zur Leichtathletin wurde und dort im Altersklassenbereich in technischen und Lauf-Disziplinen Duftmarken auf Landesebene in ihrer Heimat Niedersachsen hinterließ.

Sportlich topfit ist augenscheinlich auch noch Turid Arndt – die aber nicht mehr zwischen den Pfosten steht. Stattdessen ist die in Celle lebende stellvertretende Teamleiterin einer Krankenkasse vielseitig interessiert: Skifahren, Mountainbike, Tennis, Triathlon, Beachvolleyball, Karate – die Palette ist laut Insta­gram-Profil breit gefächert.

Ebenfalls zum Meisterteam gehörten Alexandra Gräfer (lebt in Baden-Württemberg), Svetlana Minewskaja (lebt im thüringischen Bad Langensalza) und Silke Meier.